Manche Leute beschäftigen sich mit Dingen, die so klein sind, dass man sie mit bloßem Auge kaum erkennen kann. Welten können sie entstehen lassen aus der Beobachtung von Materie, die auf einer Fingerkuppe Platz finden würde, und den Erkenntnissen, die sie daraus ziehen. Die Rede ist von Staub, also von dem Stoff, den die meisten Menschen loszuwerden trachten.
Aber es gibt Leute, die sehen genauer hin. Viel genauer. Die messen auch und wiegen, analysieren, und können tatsächlich sagen, aus welcher Region der Erde ein Staubkorn von einer bestimmten Größe und Form stammt – aus der Sahara, von Vulkanausbrüchen – oder ob es sich um Salzkri- stalle aus dem Meer handelt und wenn ja, aus aus welchem Meer. Sie können sogar sagen, wie alt es ist. Aber auch, ob es überhaupt von der Erde kommt oder ob es ein Partikel aus dem Weltall ist, Sternenstaub. Oder mikroskopisch kleine Reste von Meteoriten, die in der Atmosphäre verglüht sind. Man kann Staub nicht beseitigen, sondern ihn nur von hier nach dort transportieren. Es bleibt alles erhalten. Für immer. Der Gedanke fasziniert mich. Und macht mir bewusst, dass wir die Dinge, die im Verborgenen ruhen, mit Ehrfurcht betrachten sollten. (Staub, aus: Imago, Bettina Bormann) #bettinabormann #oberertotpunkt
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Das Wort zu den Ängsten der Zeit: Als Kind fürchtete sie sich vor der Dunkelheit. Sobald ihre Mutter das Zimmer verließ, kamen die Gespenster hervor. Die saßen im Dunkeln unter der Couch, unter den Sesseln, unter Schränken. Und sie wohnten unter ihrem Bett. Sie lauerten nur auf eine Gelegenheit, sie anzugreifen. Gesehen hat sie sie nie. Doch sie wusste genau, dass sie dort waren. (Furcht, aus: Das Flüstern der Mördermuscheln, Bettina Bormann) #moerdermuscheln #bettinabormann #oberertotpunkt Am Anfang war das Wort. Und das Wort haben Schwätzer vereinnahmt. Leute, die Sachverstand nur vorgeben. Die nur belanglos plappern. Sich über Nichtigkeiten austauschen. Leute, die sich in hohler Selbstdarstellung erschöpfen. Wen belügen wir eigentlich? (Zitat aus Schweigen, Songtext: Bettina Bormann, aus: CD 10 Grad vor OT), www.totpunkt.com In Wahrheit hat sie ihn nie darüber im Zweifel gelassen, wer sie ist. In Wahrheit hat sie sich ihm von Anfang an so präsentiert, wie sie ist.
Aber er hat dennoch nur das gesehen, was er sehen wollte: Ihre Geschwätzigkeit interpretierte er als Eloquenz. Ihre Arroganz als Selbstbewusstsein. Ihre Eitelkeit als Charme. Jedenfalls war es am Anfang so. Zu der Zeit, als der Duft ihres Haars, der Klang ihrer Stimme oder der Schwung ihres Nackens ihn noch zu betören vermochten. Später, viel Zeit war nicht vergangen, erlosch sein neugieriger Blick. Sein Auge wurde kritischer. Wie seine Interpretationen. Er maß sie nun im Vergleich zu anderen Frauen. Und er fand, dass sie nicht makellos war. Das hatte sie auch nie vorgegeben zu sein. Aber seine Enttäuschung über diese Entdeckung kreidete er dennoch ihr an. Auch zum Schluss hat er nur das gesehen, was er sehen wollte. Ihre Eloquenz interpretierte er nun als Geschwätzigkeit, ihr Selbstbewusstsein als Arroganz, ihren Charme als Eitelkeit. Sie fand ihn, wie sie ihn von Anfang an gefunden hatte: oberflächlich. Aus: Das Flüstern der Mördermuscheln, Bettina Bormann http://www.b-bormann.com/das-fluumlstern.html #bettinabormann #michaelkrueger #oberertotpunkt #moerdermuscheln Rick sah ihr in die Augen. So tief schien er in ihr Innerstes zu blicken, dass Mila schauderte. Das Stahlblau seiner Iris brachte sie jedesmal ein wenig aus der Fassung. Klar, wie ein Gebirgsbach. Kalt fast. Was für schöne Augen du hast, sagte er. Und spiegelte sich selbst in ihren Pupillen. Sie ahnte nicht, dass er nicht sie, sondern sich meinte. In ihren Augen könne er sich selbst vergessen, fuhr er fort. Und wusste doch, dass er das ganz sicher nie tun würde. Mila schnurrte fast, so wie sie es immer tat, wenn sie sich rundum wohl fühlte. Seine Arme hielten sie fest. Es gefiel ihr, wie groß und muskulös er war. Er bot ihr den Maßstab, an dem sie sich so zierlich, so weiblich fühlen konnte. Gegensätze ziehen sich an, dachte sie, was ich nicht habe, kann er mir geben – und umgekehrt. Und so erlangen wir die Vollkommenheit, nach der sich alle Menschen sehnen. So war es noch mit niemandem, flüsterte sie. So innig, voller Verständnis, so selbstlos und ganz eins. Sie blickte tief in seine Augen und sah sich selbst darin. Aus: Das Flüstern der Mördermuscheln, Bettina Bormann http://www.b-bormann.com/das-fluumlstern.html #bettinabormann #michaelkrueger #oberertotpunkt #moerdermuscheln Albinomädchen mit Malvenlächeln
von Bettina Bormann Das Albinomädchen mit Malvenlächeln sah ich oft, und stets war’s allein. Es floh meinen Blick und es sah nie zurück. Ich war froh, ihm nicht nah zu sein. Das Albinomädchen mit Malvenlächeln war weder aus Fisch noch aus Fleisch. Auf dem Kopf stand noch Flaum, in den Mundwinkeln Schaum, doch seine Augen waren milchig und greis. Das Albinomädchen mit Malvenlächeln war ein treffliches Ziel uns’res Spotts. Hänseleien im Reim, laut und derb musst’ es sein, die Erwachs’nen sprachen leis’ und bigott. Das Albinomädchen mit Malvenlächeln verschwand eines Tag’s ohne Gruß. Niemand wusste wohin. Niemand fragte danach. Doch den Vater, den stach es tot. Nachtrag: Und im Dunkeln, da halt ich ganz still und stopf mir die Finger ins Ohr. Ich schließe die Augen, ich summ’ in mich rein, aber immer, immer hör' ich Kinder schrei’n. #bettinabormann #oberertotpunkt #albinomaedchenmitmalvenlaecheln "Je größer die religiös verordnete Triebunterdrückung, desto größer der Hass auf Frauen" - oder wie seht Ihr das? Warum wohl gelten weltweit 50 Prozent der Menschheit als "Minderheit"? Jedenfalls wenn es um ihre Rechte geht? HEXENJAGD (Auftritt im Rahmen der Schwarzen Lesung im Kir Hamburg, Dezember 2012; mit David Nesselhauf, Kontrabass, Michael Krüger, Drums, Bettina Bormann, Vox + Text) Lilith hieß die erste Frau Adams. Sie war schön. Und leidenschaftlich. Sie war stolz. Und Adam war verrückt nach ihr. Aber sie war keine Dienerin. Unterwerfung lag ihr nicht. Das war der erste Fehler Gottes. Als sie Adam verließ, weil der eine folgsame Frau aus ihr machen wollte, wurde er fast wahnsinnig vor Schmerz. Er flehte Gott an, sie zurückzubringen. Aber Lilith lachte Gott nur aus. Sie hatte längst einen anderen gefunden. Zur Strafe für ihren Ungehorsam ließ Gott jeden Tag hundert ihrer Kinder töten. Daran zerbrach Lilith. Gott schuf eine neue Gefährtin für Adam, die ihn trösten sollte. Eva. Sie war eine gehorsame Frau. Aber ihre Neugier wurde zu ihrem – und Adams – Verhängnis. Das war Gottes zweiter Fehler. Doch die Lesart lautete für alle Zeiten: dieses suspekte Geschlecht musste diszipliniert werden. Damit der Herr auch Herr im eigenen Hause blieb! Pandora – Lilith – Eva – und all die anderen sind wie ein böser Fluch, der nur durch energisches Durchgreifen gebändigt werden kann: Die Frauen sind Schuld am Elend der Menschheit! Und die Gerechtigkeit erfordert, dass sie dafür bezahlen. Gott ließ die Gelegenheit verstreichen, seinen männlichen Ebenbildern zu erläutern, dass er es versäumt hatte, die Frauen so unterwürfig zu schaffen, wie Adam es wünschte – und dass er Adam nicht mit der Klugheit ausgestattet hatte, sich mit dieser enttäuschten Erwartung zu arrangieren. Das war Gottes dritter Fehler. Sicherlich nicht sein letzter. Aber dieses Versäumnis speiste die Rechtfertigung für die Hexenjagd, die alsbald begann. Wenn eine Religion eine andere ablöst, ist das weniger ein metaphysischer als ein sozialer Prozess, in dem Machtstrukturen verschoben werden. Wer Macht sichern möchte, muss Widersacher mundtot machen und sich wehrhafte Gefolgschaft organisieren. Im Gegenzug werden dafür Privilegien erteilt. Denn jeder hat seinen Preis. Hexenjagd ist ein Geschäft. Kopfgeld. Enteignung. Dabei empfanden sie gerechte Empörung. Denn die Frauen hatten schließlich selbst im Verhör zugegeben, dass sie mit Satan in Verbindung standen! Hexenproben sind ein angemessenes Mittel, um der Wahrheit auf den Grund zu gehen, falls man mit der Folter nicht weiter kommt. Wasserprobe, Wiegeprobe, Nadelprobe, Tränenprobe… Je größer die religiös verordnete Triebunterdrückung, desto größer der Hass auf Frauen. Wenn es Gott gäbe, müsste man ihn nicht erfinden. Aber was, wenn Göttin die Welt erschaffen hat? Wenn die Erde nichts ist als ein Staubkorn unter ihrem Stiefel? Oder ein Teil in ihrem Blutkreislauf, ein tückischer Krebsherd, der früher oder später herausgeschnitten werden muss? Was, wenn Göttin nach Rache dürstet? Keine Tat bleibt ungesühnt. Das ist das Gesetz des Gleichgewichts. Die ihr in den Staub tratet, werden aufstehen. Früher oder später... denn die Nacht gebiert Gestalten, die das Licht nicht liebt. #michaelkrueger #bettinabormann #davidnesselhauf #kirhamburg #oberertotpunkt #hexenjagd #hassauffrauen #misogynie Für viele von uns ist der Tod für einen langen Zeitraum so abstrakt wie der Begriff „Gott". Manche glauben an ihn, aber so ganz genau weiß man es nicht ... Bis er eines Tages in unser Leben tritt. Der Tod ist ein Affront. Aber das Leben ist stärker als der Tod.
Der Text ist entstanden, nachdem die Band Leather Strip uns – Oberer Totpunkt – eingeladen hatte, einen Remix für ihr Instrumental-Stück "Serenade for the Dead" zu machen. Hier unser Remix für Leather Strip: https://www.youtube.com/watch?v=zDtV8wuQSZ8 Bei den Weblesungen in der Woche vom 21. bis 27. Februar 2017 ist der Text ohne Musik zu hören: http://www.literaturinhamburg.de/Weblesungen.php "Gerechtigkeit": Eine wahre Geschichte – zu hören vom 8. bis 14. November 2016 bei den Weblesungen6/11/2016 Woher die Ideen für Geschichten kommen?
Meistens gibt es eine Inspiration im Alltag, zum Beispiel einen Gesprächsfetzen auf der Straße, die Zeile eines Liedes, einen Zeitungsartikel oder auch nur ein einziges gelesenes oder gehörtes Wort, das die Phantasie in Gang setzt – und dann ist es wie ein Same, der aufgeht, sich entwickelt und erblüht. Und manchmal haben sich die Geschichten, die ich erzähle, tatsächlich so ereignet wie ich sie erzähle. Aber zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort. So ist es jedenfalls bei der Kurzgeschichte „Gerechtigkeit“, die in der Woche vom 8. bis zum 14. November bei den Weblesungen zu hören ist. Hört doch mal rein: www.weblesungen.de Starke Nerven sollte man für die rabenschwarzen Stories schon haben, allerdings auch nicht mehr als man für den täglichen Blick in die Zeitung benötigt… Denn den größten Horror schreibt immer noch das Leben selbst … Eine Kostprobe: (Für eine) Handvoll Haare Moderate Töne zum gesprochenen Wort – beim musikalischen Lesungsformat präsentiert sich Oberer Totpunkt ruhiger, aber keinesfalls leise … Ein Vorgeschmack: Das Leben wartet nicht auf dich. Der Text ist einem alten Freund gewidmet, der leider nicht mehr unter uns weilt. Das Leben hat nicht auf ihn gewartet. Nein, leicht lässt sich die Band OBERER TOTPUNKT nicht in Schablonen pressen: Rezitationen, die durch düster-morbide Welten führen, Soundcollagen, deren Bandbreite von Underground über Electro und EBM bis hin zu Future-Pop oder Electrowave reicht und dancefloor-tauglich sind! Beim Autumn Moon Festival in Hameln, der Stadt, in der Frontfrau Bettina Bormann aufgewachsen ist, ist OT gleich zweimal mit zwei unterschiedlichen Programmen zu sehen:
OBERER TOTPUNKT Am Freitag um 18:15 Uhr im Papa Hemingway präsentiert sich Oberer Totpunkt mit apokalyptischen Lyrics, wütender Rockgitarre und martialischen Drum-Beats. Mit im Gepäck: Ein paar Stücke vom neuen Album „Neurosen blühen“, das im kommenden Jahr erscheinen wird. OT AKUSTISCH Und am Sonnabend um 19:15 Uhr auf dem Schiff zeigt Oberer Totpunkt seine leisere Seite. Statt Electrobeats, harten Synthiebässen mit Drums und Gitarre ist der Sound auf moderate Cocktail-Drum-Takte (Michael Krüger) und Bass/Gitarre (Stefan Frost) reduziert. Im Mittelpunkt stehen auch in dieser „unplugged“-Konstellation die ruhigen OT-Stücke, die von der OT-Band live gespielt werden, mit den schwarzen Texten von Bettina Bormann. www.totpunkt.com |
AuthorBettina Bormann
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