Tauchparadies: Sint Eustatius braucht keinen Karibik-Hochglanz
VON BETTINA BORMANN
Nein, Sint Eustatius ist keine abgelegene Berggemeinde der Eidgenossen. Aber trösten Sie sich, die wenigsten kennen diese Karibikinsel, die rund 20 Quadratkilometer klein ist und zu den Inseln über dem Winde gehört. Wie Saba und Bonaire ist auch Sint Eustatius seit dem 10. Oktober 2010 eine besondere Gemeinde der Niederlande. Massentourismus ist hier Fehlanzeige, allerdings auch die karibischen Traumstrände aus der Werbewelt. Statia, wie die rund 3.400 Einheimischen ihre Insel liebevoll nennen, ist eine unverfälschte Perle der Karibik, die nicht vorzugeben versucht, was sie nicht ist.
„Es ist, was es ist“, sagt Glenn Faires und meint damit, die völlige Abwesenheit von marketingorientierter Beflissenheit. Statia, auch als „the secret treasure“ bezeichnet, buhlt nicht mit den klischeehaften Ingredienzien der Karibik. Weiße, palmengesäumte Traumstrände sucht man hier vergebens. Zwar hat sich auch mal eine vom Meer angetriebene Kokosnuss fortgepflanzt, aber insgesamt überwiegen die Steilküsten. Es gibt ein paar Strände mit dunklem Vulkansand, zum Beispiel Zeelandia – hierhin kommen mehrere Schildkrötenarten zur Eiablage. Eine Gruppe von Wissenschaftlern und Naturschützern sorgt dafür, dass möglichst viele Neugeborene erfolgreich das Meer erreichen.
Aber Strandbars, in denen Musik bis in die Nacht erschallt, findet man auf Statia nicht. „Allerdings weiß man hier in jeder Bar und jedem Restaurant, wie ein anständiger Rumpunsch gemixt wird“, wirft Glenn augenzwinkernd ein. Und wer schon mal einen Freitagabend beim Karaoke im Restaurant Ocean View Terrace miterlebt hat, weiß auch, dass man hier nicht zum Trauerkloß mutieren muss. Die Leute auf Statia erscheinen im ersten Moment leicht mürrisch, so lange, bis man einen Scherz macht; ab da bekommt man echte Nettigkeit, ganz unverfälscht vom Training professioneller Sales-Coaches zu spüren. Auf der Straße wird man nach zwei Tagen von Wildfremden gegrüßt und kann sich sicher sein, dass alle informiert sind, woher man kommt, wo man untergekommen ist und wann man wieder geht.
The Golden Rock
Es war einmal – so könnte ein Text über Sint Eustatius beginnen – es war einmal ein wichtiges Handelszentrum für Sklaven, Zucker, Baumwolle, Waffen und Munition, eine Zeit, in der Statia von den europäischen Seefahrernationen heiß umkämpft war, in der bis zu 20.000 Einwohner auf dem kleinen Eiland mit dem vermutlich reichsten Hafen der Region lebten, das deshalb auch „The Golden Rock“ genannt wurde.
Das war einmal. Bis zu jenem denkwürdigen Tag, an dem die Regierung den Zorn Englands auf sich zog: denn indem sie im Jahr 1776 einen elfschüssigen Salut für ein passierendes amerikanisches Kriegsschiff, die Andrew Doria, abfeuerte, erkannte sie zugleich die zuvor erklärte Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten an. Die Insel fiel in Ungnade und verlor ihre wirtschaftliche Bedeutung. Aber bis heute kann der aufmerksame Betrachter an vielen Stellen einen Blick in die Vergangenheit werfen.
Statias „geheime Schätze“ finden sich unter wie über Wasser: Um die Insel wurde immer wieder verbissen gerungen; ganze 22 Mal wechselten die Machthaber – mal waren es die Franzosen, mal die Holländer, dann wieder die Engländer, die das Sagen hatten. Zeitzeugen dieser Kämpfe sind die 100(!) gesunkenen Handelsschiffe sowie Anker, Kanonen und Tonscherben. Zusätzlich hat ein Seebeben die größten Teile der historischen Handels- und Lagerhäuser von der Hauptstadt Oranjestad ins Meer gerissen.
Michele, Glenns Frau, führt stolz ihre Schätze vor: Mehrere üppige und schwere Ketten von diesen meerblauen Glasperlen, die unregelmäßig gearbeitet sind. Glenn, der die Tauchbasis „The Golden Rock“ betreibt, hat sie in den 20 Jahren, die die beiden auf Sint Eustatius leben, bei seinen unzähligen Tauchgängen gesammelt. Mit diesen Glasperlen wurden die Sklaven entlohnt. Als sie ihre Freiheit erhielten, warfen sie die wertlosen Perlen, blue beads, voller Verachtung ins Meer, so sagt es die Legende. Noch heute machen sich Taucher auf die Suche nach ihnen. Die Chance fündig zu werden, liegt bei 1:6. Für große Exemplare kann man schon mal bis zu 200 Dollar bekommen, für kleinere immerhin 50 Dollar.
Geschichte lebt
In der Hauptstadt Oranjestad, zugleich die einzige Stadt auf der Insel, lassen das Fort Oranje, 1629 von den Franzosen erbaut, das Museum mit Relikten aus der vorkolumbischen Zeit und der Kolonialzeit sowie die Holländisch Reformierte Kirche mit ihrem hohen Turm die Geschichte aufleben. Bei der Fahrt über die Insel – per Taxi, Mietwagen oder per Anhalter – begegnet man frei umher laufenden Kühen, Schweinen, Ziegen und Hühnern. Wegen der Trockenheit gibt es keine nennenswerte Landwirtschaft. Im Südosten der Insel liegt der rund 600 Meter hohe Quill, ein schlafender Schichtvulkan. Im Krater hat sich ein üppiger Regenwald gebildet. Im Norden liegt die Hügelgruppe Boven Mountain.
Es gibt hier circa 100 Hotelbetten, zumeist kleine Gasthäuser. Ein bisschen mehr Tourismus könnte Statia schon brauchen, aber bitte nicht zu viel, lacht Glenn, denn: „Ändern sollte sich hier möglichst wenig!“ Wer auf Statia Urlaub macht, findet unverfälschte Natur, eine reiche Tierwelt mit vielen Vogelarten, Salamandern und kleinem, ungiftigem Getier, phantastische Tauchspots im seit 40 Jahren geschützten Marinepark und Ruhe, Ruhe, Ruhe. (Achtung: die Rooster krähen unerbittlich ab 5.30 Uhr, aber dafür dezimieren sie Insekten und kleine Skorpione.) Wer allerdings Traumstrände, Shoppingmalls und Strandpromenaden braucht, um im Urlaub glücklich zu sein, ist hier falsch.
Infos:
Sint Eustatius gehört, wie Saba und Sint Maarten, zu den Inseln über dem Winde, den Leeward Islands. Sie ist acht Kilometer lang und drei Kilometer breit. Die Hauptstadt Oranjestad ist die einzige Ortschaft auf Statia. Ein Kliff teilt Oranjestad in Unter- und Oberstadt.
Anreise:
Air France fliegt über Paris und KLM über Amsterdam nach Sint Maarten, von dort aus weiter mit Winair, Gepäck kann durchgecheckt werden. Bei der Ausreise ist eine Flughafengebühr von 5,65 US $ innerhalb der Niederländischen Antillen und 12 US $ für internationale Ziele zu bezahlen. Es gibt keinen Fährverkehr von anderen Inseln nach Sint Eustatius.
Einreise: Der Reisepass muss mindestens noch sechs Monate gültig sein.
Klima + Reisezeit:
- Durchschnittliche Temperatur: Sommer zwischen 16 und 28 Grad Celsius.
- Winter zwischen 16 und 25 Grad Celsius. Die Insel liegt im Hurricane-Gürtel.
- Hurricane-Zeit ist von Juli bis Oktober.
Sprache: Englisch, Holländisch
Währung: US-Dollar
Gehört ins Gepäck: Treckingboots, Regenjacke, Baumwollkleidung, Sonnenhut.
Aktivitäten:
Tauchen:
40 Jahre Meeresschutz zahlen sich aus: Die Unterwasserwelt ist phantastisch. Das Tauchen rund um Sint Eustatius ist phantastisch. Seit rund 40 Jahren ist die Region ein Meeresschutzgebiet, das Ergebnis: ein ungeheurer Fischreichtum, gesunde Riffe, viele, viele Schildkröten und wirklich große Stachelrochen! Gelegentlich passieren Haie, ein Indiz für ein gesundes Riff. Außerdem machen die mehr als 100 versunkenen Handelsschiffe die Insel zu einem Tauchmekka.
Getaucht wird vom Boot aus. Die Wege zu den Spots sind kurz. Die Entscheidung wohin es geht, fällt kurzfristig, je nach Wetter- und Strömungslage, denn es kann recht wechselhaft sein. Die Crew ist extrem service-orientiert und verbreitet eine fröhliche Atmosphäre.
Für Nicht-(Geräte-)Taucher und für Taucher, die Spaß an der Geschwindigkeit haben, bietet Glenn Faires seine patentierte Entwicklung an: Den Dive-Glider – ein mit Pressluft betriebenes Fiberglas-Gefährt, mit dem sich unter Wasser größere Distanzen zurücklegen lassen. Man sollte gut bei Lunge sein. Großer Spaßfaktor!
Weitere Infos und Kontakt: goldenrockdive.com, www.statiapark.org
Wandern/Ausflüge:
- Überraschende Begegnung am Kraterrand des Quill.
Quill und Boven – beide gehören zum Stenapa Nationalpark. Je nachdem, wie viel man sich zutraut, kann man den Quill bis zum Krater erklimmen (600 Meter hoch) und den Blick ins Kraterinnere genießen, den Krater umrunden (Durchmesser 760 Meter, Dauer ca. 4-6 Stunden) oder auch in die Tiefe des Kraters hinabsteigen (300 Meter tief). Hier findet man tropischen Regenwald mit beeindruckender Flora und Fauna: Mahagonibäume und mannshohe Farne, den antillianischen Leguan, die Rotbauchschlange (ungefährlich), Landkrabben, Einsiedlerkrebse, tropische Vogelarten. Auf der Insel gibt es 242 Pflanzenarten, darunter 18 Orchideen-Arten. Wasser, Snacks, Sonnenschutz und Kamera nicht vergessen! - Vom Botanischen Garten aus kann man mit Glück Buckelwale vorbeiziehen sehen.
- Die größte kulturelle Veranstaltung auf Statia ist der zehntägige Karneval, der in der letzten Juliwoche beginnt.
Strände:
- Zeelandia Bay, Ostküste, drei Kilometer langer, schwarzer Sandstrand; Achtung starke Strömungen! Von April bis Oktober kommen verschiedene Schildkrötenarten zur Eiablage nach Zeelandia. Kleine Besuchergruppen dürfen die Naturschützer bei ihren nächtlichen Patrouillen begleiten. Termin im Tourismuscenter vereinbaren!
- Oranje Beach, Oranjestad, grau-schwarzer Sandstrand.
Ärztliche Versorgung:
- The University of Sint Eustatius School of Medicine (USESOM), Golden Rock.
Hotels:
Das Hotel und Restaurant „The Old Gin House“ im Gebäude einer historischen
Baumwollspinnerei aus dem 18. Jahrhundert.
- Golden Era Hotel, Lower Town, Restaurant, Bar, Pool, PADI-Tauchschule, sonntags Livemusik
- Statia Lodge, White Wall, Bar, Pool
- The Old Gin House, Lower Town, Restaurant, Bar, Frischwasserpool. Die historische
- Baumwollspinnerei aus dem 18. Jahrhundert wurde im Sommer 1999 renoviert.
Restaurants:
- Blue Bead Bar & Restaurant, französisch, italienisch, Gallows Bay
- Chinese Restaurant, H. M. Queen Beatrixstraat
- Franky´s, De Ruyter Weg, gegenüber der Methodistenkirche
- Golden Era Hotel, kreolisch, westindisch, Lower Town
- Grill House Restaurant, Straße nach White Wall
- Ocean View Terrace, Government Guest House
- Old Gin House Hotel, amerikanisch, Lower Town
Fotos: Bettina Bormann