Kurzgeschichte von Bettina Bormann Endlich raus! Endlich raus! Endlich raus! Endlich raus! ... Rennt die Treppe runter. Endlich raus! Berührt kaum die Stufen. Gleitet fast aus, jagt weiter. Die Haustür steht wie gewohnt offen. Die fünf Steinstufen nimmt er mit einem gewaltigen Satz, dann rennt er um des Rennens willen die Straße entlang bis an die Ecke. Abrupt hält er inne. Schnuppert. An der Kastanie. Am Straßenpflaster. An der Ampel. Er setzt seine Marke und trippelt weiter. Ein markanter Geruch weckt seine Aufmerksamkeit. Er folgt ihm, streicht an einer Steinmauer entlang. Brösel von Mörtel lösen sich, setzen sich in sein Fell. Unter einer Linde verharrt er und dechiffriert die Botschaften, die seine Nase ihm vermittelt. Ein Sperling fliegt auf, verliert eine Feder, die schwebt auf ihn herab und bleibt an seinem zotteligen Fell haften. Jetzt trödelt er weiter. An der Ampel bleibt er stehen. Er ist ein kluger Hund. Außer ihm steht dort noch eine Frau mit einem Kind an der Hand. Das Kind deutet mit dem Finger auf ihn. Die Frau hält es zurück: „Man fasst keine Hunde an, die man nicht kennt.“ Auch ein Mann steht da. Der isst einen Amerikaner. Zuckerglasur klebt an seinen Fingern. Der Hund kann sie riechen. Der Mann beugt sich hinunter zu ihm: „Du bist aber ein Schöner“, sagt er in dem Tonfall, den die Menschen Tieren vorbehalten. „Du hast aber ein schönes, weiches Fell.“ Und wischt dabei heimlich die Zuckerglasur von seinen Fingern am Fell des Hundes ab. Die Ampel springt auf Grün. Der Hund rennt über die Straße und biegt in den Park ein. Dort gehen auch einige andere Hunde mit ihren Menschen spazieren. Auf eine braun-weiße Promenadenmischung läuft er zu. Die beiden schnuppern aneinander. Ein paar Meter laufen sie neben einander her, tollen miteinander, dabei wechselt ein Floh die Seiten. Dann ruft das Herrchen den anderen zurück. Der dreht sich noch einmal um, dann verschwindet er mit dem Zweibeiner. Im leichten Laufschritt setzt er seinen Weg fort. Bei einer Gruppe von Kindern zögert er einen Augenblick, gerade lange genug, um von denen mit Kastanienhäuten beworfen zu werden. Eine trifft ihn und verfängt sich in seinem Fell. Er flieht. Erst am Teich bleibt er wieder stehen. Er trinkt, setzt vorsichtig erst eine, dann die anderen Pfoten ins Wasser. Dann geht er tiefer hinein und dann durchquert er den Teich. Frösche nehmen Reißaus, einer quakt ihn empört an. Algengrütze bleibt in seinem Fell kleben. Als er auf den anderen Seite des Teiches herausklettert, plumpst eine Raupe von einem Baum herab auf sein Fell. Sie hält sich an ihm fest und sucht Schutz in den Tiefen seines haarigen Balgs. Aus Freude am Rennen rennt er durch den Park zurück auf die Straße und wieder hinunter zum Haus seines Menschen. Die Zunge lässt er weit aus seinem Maul hängen. Die wabernden Gerüche von Bäumen, Blüten, Gräsern lösen Glücksgefühle in ihm aus. Tief empfundenes, wahres Glück. Hechelnd bleibt er mit leicht abgespreizten Beinen vor dem Haus stehen. Und dann schüttelt er sich. Minutenlang. Kraftvoll arbeitet seine Muskulatur. Sein Fell schleudert hin und her. Und alles, was nicht zu ihm gehört, alles, was ihn piekt, kneift, zwickt und piesackt, fliegt explosionsartig ab von ihm – ein ganzer Mikrokosmos von Staub, Mörtel, Wasser, Algen, Schlamm und Kleintieren wird abgesprengt von der Zentrifugalkraft der schieren Energie, die sich in diesem Schütteln entlädt. Und dann steht er da, schnuppert beiläufig an der Haustür, entschließt sich, hineinzugehen und ist wieder ganz mit sich im Reinen. #bettinabormann #oberertotpunkt #denganzenscheißeinfachabschuetteln
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AuthorBettina Bormann
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