Viele Menschen fragen sich, was das ist: Glück. Selbstverständlich beantwortet sich jeder diese Frage auf seine eigene Weise. Meine lautet so: Es ist das, was ich empfinde, wenn ich mich in der Unterwasserwelt bewege. Es beginnt in dem Augenblick, in dem ich noch an der Oberfläche einen Blick hinunter werfe, und sie alle sehe, „die üblichen Verdächtigen“, die schon auf mich warten: die Papageienfische, die Zackenjuwelenbarsche, die Blaupunktrochen, die Trompetenfische und die Füsiliere, die Doktor- und die Maskenpufferfische, die Schwämme und die bizarren Korallenlandschaften, die einer Fantasie von Jules Verne entsprungen sein könnten. Noch während ich sinke, mein Jacket festzurre, einen Blick auf die Instrumente werfe, merke ich, wie sich mein Atem verändert, ich finde den Rhythmus des Meeres, die Gedanken werden langsamer, die Sinne sensibler. Der Ozean umfängt mich mit seiner Melodie, die mich an ein Lied erinnert, das ich schon immer kannte, unterlegt von einem dunkel murmelnden Klangteppich, erzeugt von Wellen, die in höheren Regionen gegen Felsen krachen und einen Ton hervorbringen, der in der Tiefe klingt wie das Zupfen der Saiten eines Kontrabasses. Dazu die Percussionisten der Unterwasserwelt: Die Fische, die ihre Zähne in Steinkorallen schlagen oder sich knackend und knisternd mit ihren Artgenossen verständigen. Es ist fast wie eine psychedelische Erfahrung. Wie ein Traum in einem Traum. Ich kenne meinen Unterwassergarten - der im Roten Meer liegt, im Süden - wie meine Westentasche. Ich kenne die Höhle, in der die Riesenmuräne lebt, und in der sie ihre Wunden leckt, die sie sich in nächtlichen Territorialkämpfen zugezogen hat. Ich weiß, wo der Titandrücker sein Gelege hat - und mache einen weiten Bogen darum … Ich kenne die große Salatkoralle, an der die Putzerlippfische auf Kundschaft warten, und bin sogar selbst schon dort Kundin geworden. Ich winke den Schwarzpunktpufferfischen zu, die in skurrilsten Haltungen rasten. Und ich weiß, wo Mrs. Robinson und ihre Tochter, zwei Gelbschwanzdrückerfische, auf mich warten. Wenn ich mich nähere, umkreisen sie mich zunächst vorsichtig, dann wird ihre Neugier immer unverhohlener. Sie schwimmen nahe vor meiner Maske herum, blicken hinein, suchen mein Zentrum. Auge in Auge stehen wir im Wasser und erkunden einander. Mrs. Robinson schenkt mir ein Lächeln, wie nur ein Gelbschwanzdrückerfisch es vermag. Ich bin verliebt. Ich habe schon spektakulärere Tauchgänge erleben dürfen - eine wunderbare Begegnung mit einer der seltenen Lederrückenschildkröten in Tobago, fantastische fünfzehn Minuten im fröhlichen Unterwasserspiel mit einer Gruppe von fünf Delphinen in einem Riff vor Safaga, atemberaubende Hai-Begegnungen in der Karibik und auf den Bahamas. Aber ich tauche auch schon lange genug, um zu wissen, dass es nicht allein die Sensationen sind, die den Reiz des Tauchens ausmachen. Das, was ich als das Glück beim Tauchen empfinde, ist etwas anderes. Es sind diese friedlichen Spaziergänge in einem intakten Unterwassergarten, umgeben von Wesen, die mich mit freundlicher Neugier eine Zeit lang in ihrer Welt dulden. Wer weiß, vielleicht treffen wir uns ja einmal dort, im Süden des Roten Meeres. Und vielleicht stelle ich dir dann Mrs. Robinson vor. Wer weiß … (erschienen in MEIN TAUCHSPOT. DIE SCHÖNSTEN TAUCHSPOTS DER WELT VON TAUCHERN FÜR TAUCHER, Tellus Corporate Media GmbH und Zeitschrift tauchen, 2010) #marsashagra #egypt #tauchen #rotesmeer #wasistglueck #glueck #bettinabormann #michaelkrueger #unterwassergarten #haie #delfine #tauchspot www.tauchen.de www.redsea-divingsafari.com
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AuthorBettina Bormann
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